Wenn Stars sich selbst vom Sockel stossen
Stars entzaubern sich oft genug selbst mit peinlichem oder gar kriminellem Verhalten. Wer bewundert werden will wie ein Halbgott, muss geheimnisvoll bleiben.
Als Alain Delon vergangene Woche starb, schrieb Emmanuel Macron auf X: «Melancholisch, beliebt, geheimnisvoll, er war mehr als ein Star: Er war ein französisches Monument.» So geht es jeweils, wenn ein Filmstar stirbt: Auf Social Media illustrieren Schwarz-Weiss-Bilder die Liebesbekundungen von Fans, bis die Andacht von Stimmen gestört wird, die daran erinnern, was der Bewunderte in seinem Leben Fragwürdiges, Böses oder gar Kriminelles tat. Und schon schrumpft der Vergötterte auf Menschengrösse zusammen.
Diese Störenfriede von Social-Media-Trauerfeiern holen ins Bewusstsein zurück, was die Öffentlichkeit so gerne verdrängt: dass die überirdische Aura von Stars nur eine Illusion ist. So erfunden wie die Rollen, mit denen sie berühmt wurden.
Delon, berühmt geworden als der schönste Mann des französischen Kinos, fiel Frauen gegenüber durch hässliches Verhalten auf; er schlug zu. Er weigerte sich, seinen Sohn mit Nico, der Sängerin von The Velvet Underground, anzuerkennen. Er war befreundet mit dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen und bedauerte die Abschaffung der Todesstrafe. Trotzdem: 2019 ein Ehrenpreis in Cannes. Und jetzt: «mehr als ein Star, ein Monument».
Tageslicht macht blass
Wer als echter Star leben und begraben werden will, tut gut daran, tatsächlich «geheimnisvoll» zu sein, wie Macron es von Delon behauptete: Immer die Illusion wahren und im Rampenlicht bleiben, das dafür da ist, Vorteilhaftes hervorzuheben. Geraten die Stars ins ordinäre Tageslicht, sehen sie auf einmal blass aus. Jämmerlich.
Dann, wenn berichtet wird über peinlichste Gerichtsstreitigkeiten (Johnny Depp und Amber Heard), Steuerhinterziehung (unter anderem Wesley Snipes), Drogenprobleme (wer nicht?), über den Vorwurf des Alkoholmissbrauchs (unter anderen Til Schweiger), den Vorwurf der Gewalttätigkeit (etwa Johnny Depp und Sean Connery), des sexuellen Missbrauchs (unter anderen Gérard Depardieu), Antisemitismus (Gérard Depardieu, Roseanne Barr, Mel Gibson). Catherine Deneuve machte sich unbeliebt, als sie die #MeToo-Kampagne als «Hass auf Männer» abtat.
Also besser keine politischen Äusserungen machen, bescheiden bleiben trotz Millionensalär und kreischenden Fans. Bloss keine Dummheiten auf Social Media posten, besser eine fähige PR-Assistenz engagieren, die die Kommunikation überwacht. Und besser nicht, wie Alain Delon, testamentarisch verfügen, dass der Lieblingshund eingeschläfert werden und zu einem ins Grab gelegt werden müsse.
Ja, im Kino strahlen sie, die Stars. Sie werden von manchen verehrt wie Göttinnen, Fans folgen ihnen wie Hörige einem Diktator oder Tom Cruise seinen Gurus von Scientology. Dass der Action-Star Anhänger der Sekte ist, konnte ihm nie viel anhaben, aber die Welt lachte über ihn, als er 2005 bei Oprah Winfrey aufs Sofa hüpfte und frisch verliebt von seiner Katie Holmes schwärmte. In seinen Rollen mag Cruise kluge Sätze aufsagen, aber wenn man ihn live reden hört, ist er nur unerträglich selbstverliebt. Überhaupt fällt es auf, wenn Schauspielerinnen und Schauspieler in Gesprächen einmal mehr als nur Floskeln von sich geben. Nur wenige, etwa Tilda Swinton, Emma Thompson, Benedict Cumberbatch, formulieren eigene Gedanken oder erlauben sich sogar eine Meinung zum Film, über den sie da sprechen.
Trotzdem gelten Stars als moralische Leitsterne, die der Menschheit den Weg durchs Leben weisen sollen. Weil sie im Kino überlebensgross aufs Publikum herabschauen und oft heldenhafte Figuren spielen, mit denen man sich identifiziert. Aber es ist eine komplizierte Sache mit den Stars und der Moral.
Von Vorbildern wird ein tadelloses Benehmen erwartet. Von weiblichen Stars erwiesenermassen noch stärker als von männlichen. Aber Ruhm entmenschlicht, macht zum «öffentlichen Eigentum», wie Beyoncé einmal beklagte. Und Natalie Portman beschrieb das schlechte Gefühl, selbst von Freunden anders behandelt worden zu sein, sobald sie berühmt wurde. Man werde auf ein Podest gestellt.
Die ständige Bewunderung hat zur Folge, dass den Stars echte menschliche Interaktion abhandenkommt. Sie sind wie Aussätzige in teuren Kleidern. Und wer nicht mehr wie ein normaler Mensch behandelt wird, benimmt sich irgendwann auch nicht mehr wie ein solcher. Wer sich an eine devote Entourage und Assistentinnen für alles gewöhnt hat, verlernt es, Verantwortung zu übernehmen, ob für sich oder für andere. George Clooney stellte bei der Oscar-Verleihung 2006 passenderweise fest, man lebe in Hollywood etwas realitätsfremd, was ja aber gut sei, weil Schauspieler eine Art säkulare Priesterfiguren seien. Sie würden Amerika anspornen, besser zu werden.
Engagement für Feuchtnasenprimaten
Da wundert es nicht, wenn die Angehörigen dieser Parallelwelt glauben, über den Regeln und Gesetzen zu stehen, die eigentlich für alle gelten. Die Folgen sind peinliches oder auch kriminelles Benehmen, von dem Paparazzi und Boulevardmedien sehr gut lebten, bevor es Social Media gab. Heute machen alle mit beim Shitstorm, wenn ein Idol gegen irgendeine gerade geltende soziale Regel verstösst.
Fast könnten sie einem leidtun, diese Stars. Immerhin gehen sie oft genug an ihrem Ruhm zugrunde. Manche sterben den Drogentod, andere ziehen sich in die Einsamkeit zurück, landen in Entzugsanstalten oder dem Gefängnis. Und wenn der Ruhm verblasst, weil das Alter an der Schönheit nagt oder der Lebensstil das Talent zerstört hat, wie im Fall von Johnny Depp? Dann bleibt noch die Philanthropie, die Aufmerksamkeit durch Aktivismus. Brigitte Bardot kämpft fürs Tierwohl. Leonardo DiCaprio gegen die Klimakrise und für Feuchtnasenprimaten.
Etliche setzen sich für geflüchtete Kinder ein, für Kranke, überhaupt für alle erdenklichen Hilfsbedürftigen. Wie sollen wir das deuten? Wollen sie der Idealisierung durch die Fans gerecht werden? Oder ist die Philanthropie einfach ein Mittel der Steueroptimierung?
Stars locken bekanntlich nicht nur viel weniger Publikum in die Kinos, es ist überhaupt vorbei mit ihrer Überlebensgrösse auf Leinwänden. Heute, wo so viel mehr gestreamt wird, sind sie nur noch bildschirmgross. Man betrachtet sie in seiner Handfläche, während man durch Instagram scrollt. Dort, wo alle sich inszenieren, sind sie fast wie richtige Menschen.
Erschienen am 24. 8. 2024 in der «NZZ am Sonntag». Bild: