Wie gewinnt man einen Oscar? Er weiss es.

Edward Berger, der deutsche Regisseur mit Schweizer Wurzeln, hat 2023 für «Im Westen nichts Neues» vier Oscars gewonnen. Wie hat er das geschafft und was hat es verändert?

«And the Oscar goes to . . .» Salma Hayek macht eine dramatische Pause . . . «Edward Berger, ‹All Quiet on the Western Front›!» Berger und seine Schauspieler springen aus den Sesseln, umarmen sich, so gut es ihre Smokings zulassen, und bei der Dankesrede für den Oscar als bester fremdsprachiger Film sagt der Regisseur: «Das bedeutet die Welt für uns!» «Ich» zu sagen, käme ihm nicht in den Sinn. Andere würden in Tränen ausbrechen oder sich verhaspeln. Aber Edward Berger, auch wenn seine Freude über die höchste Auszeichnung in Hollywood unermesslich sein muss, behält die Kontrolle.

Das war vor einem Jahr. Jetzt sitzt er im Büro seiner Produktionsfirma in Berlin-Charlottenburg, in einem dieser eleganten alten Berliner Stadthäuser. In der Nähe wohnte der Stummfilmstar Asta Nielsen. Berger wirkt ruhig, bedacht, gar nüchtern. Keine Spur von Euphorie über die vier Oscars. Höchstens ein wenig verhaltener Stolz.

Wie schafft man es, Teil der Feier im berühmten Dolby Theatre zu werden, wo dieses Jahr zum 96. Mal die Academy Awards über die Bühne gehen? Es braucht Ehrgeiz, Ehrlichkeit mit sich selbst, wie Berger merken sollte, ein Netzwerk und sehr viel Geld für die Kampagne, mit der Produktionsfirmen die Aufmerksamkeit der wählenden Academy-Mitglieder auf ihre Filme lenken. Ohne Netflix, Produzentin von «Im Westen nichts Neues», wäre das nicht zu schaffen gewesen. Wenn diese Firma einen solchen Film macht, dann will sie ihn auch bei den Oscars vertreten sehen.

Wie hoch das Kampagnenbudget war, wird nicht kommuniziert. Aber es müssen Millionen sein. Denn seit Harvey Weinstein 1999 für «Shakespeare in Love» obszön viel Geld aufwarf, um Steven Spielbergs «Saving Private Ryan» zu schlagen, fliessen Millionen in Oscar-Kampagnen, zu denen zahllose Anzeigen in Fachmagazinen gehören, Plakate in Hollywoods Strassen und vor allem Partys und Spezialvorführungen für ausgewählte Gäste. «Diese werden nach und nach spezifisch bespielt, um den Film ins Gespräch zu bringen», erklärt Berger. Mundpropaganda kann entscheidend sein.

Weil Filme an Personen gebunden sind, werden manche Schauspieler vertraglich zur Beteiligung an Kampagnen verpflichtet. Berger selbst war 2022 noch in Rom mit seinem nächsten Film beschäftigt, aber tat sein Möglichstes, um in London oder Los Angeles zu diesen Partys oder Vorführungen zu erscheinen. Aber auch die grösste Kampagne bringt nichts, wenn der Film nicht überzeugt: «Die Leute spüren, wenn sie veräppelt werden. Dann empfehlen sie den Film nicht weiter, und die Kampagne zündet nicht», weiss Berger.

Leiden beim deutschen Fernsehen

Edward Berger wurde 1970 in Wolfsburg geboren, seine Mutter ist Schweizerin, sein Vater Österreicher. Er wuchs in Deutschland auf, aber ging fürs Studium an die Filmhochschule in New York. Wenn er von damals erzählt, klingt Berger auf einmal temperamentvoll: «Während der Ausbildung denkst du: Ich bin Regisseur! Aber nach dem Abschluss wurde mir klar: Das weiss meine Bubble, aber draussen kein Mensch. Keiner wird mir Drehbücher schicken. Also musste ich Menschen kennenlernen, die was Tolles machen.»

Jemanden kannte er bereits: «Während des Studiums hörte ich immer wieder von Good Machine, der Independent-Produktionsfirma, die Filme von Ang Lee, Todd Haynes oder Nicole Holofcener machte. Also habe ich nachgeschaut, wo in Manhattan die ihren Sitz hat, bin da hin gerollerbladet, habe angeklopft und gesagt, ich möchte hier gerne arbeiten.» Der Produzent Anthony Bregman liess ihn rein und bot ihm ein Praktikum an. Es war unbezahlt, aber Berger sagte zu, «um da einen Fuss reinzukriegen». Das war 1994.

Seinen ersten Spielfilm, «Gomez», drehte er wieder daheim. Es war eine schweizerisch-deutsche Koproduktion. Es folgten Filme fürs Fernsehen, aber wohl war ihm nicht lange dabei. Heute sagt er ganz ehrlich, es sei ihm am Anfang schwergefallen, seine eigene Stimme zu finden. «Ich hatte einfach nichts zu sagen. Stattdessen habe ich versucht, alles richtig zu machen. Ich glaube, meine Geschichten waren immer zu klein.»

Es überkamen ihn Zweifel am Sinn der Arbeit fürs Fernsehen: «Du arbeitest mit Herzblut. Doch dann wird dein Film am Mittwochabend um 20 Uhr ausgestrahlt, am Tag darauf kriegst du vielleicht ein paar SMS von Freunden, und am übernächsten ist er vergessen. Fernsehfilme sind Ware, die verpufft. Das hat mich immer mehr befremdet. Bis ich dachte, das lohnt sich ja gar nicht, warum mache ich das?» Und so beschloss er, ab jetzt nur noch Filme zu machen, mit denen er wirklich etwas zu sagen hatte. Wie «Jack», der 2014 prompt an die Berlinale eingeladen wurde. Er nennt ihn seinen persönlichsten Film.

«Jack», ein Stipendium in Los Angeles und fünf Folgen der Serie «Deutschland 83» öffneten ihm die Tür zu englischsprachigen Produktionen. Die Serie «The Terror» habe ihm klargemacht, «wie niedrig die Decke in Deutschland war. Ich wurde dort fast erdrückt. Hier konnte ich ausbrechen, und ich habe versucht, diese Chance zu nützen. Zum Glück ist es mir einigermassen gelungen», meint er. – Diese Bescheidenheit. Auf «The Terror» folgte «Patrick Melrose» mit Benedict Cumberbatch, später «Your Honor» mit Bryan Cranston.

Und dann kam dieser Anruf von seinem guten Freund und Produzenten Malte Grunert. «Er fragte: ‹Wie fändest du denn die Idee, bei ‹Im Westen nichts Neues› Regie zu führen?› Das hat sofort etwas in mir angesprochen», erzählt er. Berger hatte den Roman in seiner Jugend gelesen und eine Verfilmung gesehen, und sagt, der Stoff habe ihn nie mehr losgelassen. Zuerst zweifelte er, weil es wieder ein deutscher Film war, und davon hatte er sich doch gerade erst befreit. Aber das Thema zog ihn zu sehr in Bann.

Die Karriere von «Im Westen nichts Neues» fing an am Filmfestival in Toronto. Im Dezember 2022 schickte ihn Deutschland als besten internationalen Film ins Oscar-Rennen. Ein Jahr später ist Edward Berger in Hollywood angekommen. Er liebt den Ort, aber sieht darin kein Märchenland. «Das ist ein absolut hartes Geschäft. Wenn da was auf den Tisch kommt, das leckerer und schöner ist, dann wird halt das gemacht. Es ist ein Wettbewerb, und dem muss man sich stellen.»

Brainstormen mit Matt Damon

Für uns Aussenseiter mögen die Skandale das Interessanteste sein an den Oscars. Für Filmleute hingegen kann dieser Preis alles ändern. Für Berger hat sich in diesem Jahr sehr vieles getan, weil der Oscar Vertrauen schafft. «Ich kann jetzt mit Schauspielern arbeiten, mit denen ich schon immer zusammenarbeiten wollte.» Wenn er jetzt jemandem ein Drehbuch schickt, dann landet das nicht mehr ganz unten auf dem Stapel. Für seinen nächsten Film wird er mit Colin Farrell zusammenarbeiten. Was danach kommt, sei noch nicht spruchreif, sagt Berger. Aber man hörte schon den Namen Brad Pitt kursieren.

Jetzt plant Berger einen Film mit Anthony Bregman, der ihm damals bei Good Machine die Tür aufmachte. Und er denkt gemeinsam mit Matt Damon über einen weiteren «Bourne»-Film nach. «Das Studio ist natürlich heiss darauf, aber wir machen den nur, wenn wir uns sicher sind, dass er begeistern kann. Die vorangehenden Filme sind so gut, dass unserer etwas Neues bieten muss. Das Publikum muss denken: Mensch, so was habe ich noch nicht gesehen. Dann hat es sich gelohnt, für uns alle.»

Schliesslich hatte er sich nach «Jack» vorgenommen, «nur noch Filme zu machen, egal für wie viel Geld, mit denen ich wirklich etwas sagen möchte. Darum frage ich heute immer: Warum willst du diesen Film machen? Das ist die wichtigste aller Fragen.»

 

(Am 9.3.2024 der "NZZ am Sonntag" erschienen. (Bild: Peter Rigaud / Laif)

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